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vertretene Künstler

Anselm Reyle

Anselm Reyle: Little Cody

29.04.2011 - 11.06.2011

Der 1970 in Tübingen geborene Künstler studierte an der Staatlichen Akademie der Bildenden Künste, Stuttgart sowie an der Staatlichen Akademie der Bildenden Künste, Karlsruhe. Seit 1997 lebt und arbeitet er in Berlin und hat eine Professur an der HfbK in Hamburg inne.
In seinen jüngst entwickelten Arbeiten favorisiert Anselm Reyle figurativ-gegenständliche Motive, deren Vorlagen auf dem bekannten Prinzip Malen nach Zahlen basieren: Der Bildgegenstand ist einem Puzzle vergleichbar in einzelne, mit Nummern versehene Partien zergliedert. Jeder Zahl wird ein bestimmter Farbton zugeordnet, der im Zusammenspiel mit den anderen ausgemalten Feldern ein homogenes Erscheinungsbild ergibt und dem Ausführenden zum eigenen Kunstwerk verhilft – eben Malen nach Anleitung mit einer detaillierten Gebrauchsanweisung. Das jeweilige Motiv bildet bei Reyle zwar die Hintergrundfolie der Komposition, erfährt jedoch keine naturalistische Nachahmung, sondern eine abstrahierende, teils comic-hafte Darstellungsweise.
Seriellen Bausteinen vergleichbar ist die Mehrheit der einzelnen Felder mit Materialien und Farben gefüllt, die der Betrachter aus früheren Arbeiten, wie den Streifenbildern und Otto-Freundlich-Bildern wiedererkennt - ergänzt von Partien, deren Duktus an frühere gestische Arbeiten Reyles erinnert. Trotz ihrer Aufsplitterung und Verfremdung bleiben die Figuren in ihrer Gestalt erkennbar und geben dem Betrachter ihre Herkunft preis. Konträr zu den gemalten Vorbildern sind Reyles Werke einer Collage vergleichbar aufgebaut – es wird gemalt, aufgeklebt, gesprayt und wieder ausgeschnitten. Vertikal verlaufende Farbspuren und einzelne Tropfen durchbrechen dem eines Malen-nach-Zahlen Bilds inhärenten Anspruch nach Perfektion. Ähnlich wie bei den während der 60er Jahre entstandenen „Do it yourself“-Paintings von Andy Warhol bestimmen die schwarzen Umrisslinien auch hier die vorgegebene Komposition. Einzelne Felder bleiben unbearbeitet, sind (noch) mit Zahlen versehen und unterstützen den demonstrativen Eindruck einer mechanischen Fertigungsweise, die unserer Vorstellung des romantischen Künstlerideals kontrastiv entgegentritt. Im Unterschied zu diesem eher unpersonali-sierten Verfahren kennzeichnet Anselm Reyle die Bilder mit seinem typischen Signé – einem Klecks mit Farbtropfen – und dokumentiert dadurch ihren Originalitätscharakter.
Neben den versammelten Tierportraits sind auch einige abstrakte Malen-nach-Zahlen Bilder vertreten. Anselm Reyle greift hier Ausschnitte aus den erwähnten Motiven heraus, vergrößert diese zoomartig und lenkt den Betrachterblick dadurch auf zuvor eher vernachlässigte, unbemerkt gebliebene Details.
Neben den Malen-nach-Zahlen Bildern zeigt Anselm Reyle in der Ausstellung erstmals eine eigene Sofakollektion und verwandelt damit das zweite Geschoß des Chipperfield-baus am Kupfergraben in ein schräges Interieur, das assemblageartig die vielfach ironisch belächelte Beziehung zwischen Bild und Sofa hinterfragt. Das Sofabild als bürgerliche Trophäe und Aushängeschild des jeweiligen Besitzers erfährt hier eine ungeahnte Konkurrenz durch das Sofa selbst. Reyle präsentiert es nicht primär als Möbelstück und Teil des Kunsthandwerks, sondern als skulpturales Objekt auf einem Sockel – seinem Gebrauch und einer Vereinnahmung durch den Betrachter entzogen.
Ein entscheidender Faktor bei der Entstehung dieser neuen Werkgruppe ist die Auseinandersetzung mit Memphis Design, das dieses Jahr sein 30-jähriges Jubiläum feiert. Der sich zu Beginn der 80er Jahre um Ettore Sottsass gruppierende Kreis von italienischen Designern kehrte sich gegen das vorherrschende Primat des Funktional-ismus mit seiner puristischen, rational-technoiden und formalen Gesetzen gehorchenden Bildsprache. Stattdessen proklamierten sie einen neuen narrativ-poetischen Design-Stil, zu dessen Hauptmerkmalen die Vermischung von erhabenem Dekor und trashigen Pop-Elementen, ein hemmungsloser Umgang mit überbordenden Formen und skrupellosen Farbkombinationen zählen. Billige Materialien und Fundstücke aus dem Alltag wurden ebenso integriert wie bekannte Design-Ikonen, darunter Stühle von Thonet und Macintosh, deren ironische Umgestaltung und Formerweiterung durch verfremdende Applikationen einen kritischen Widerstand hervorrief.
Bei den hier gezeigten Sofas unterliegt das Auge durch die ungewohnt-schrägen, vordergründig disharmonisch anmutenden Farb- und Materialkombinationen mühelos der Verführung: Ähnlich einer Patchwork-Struktur treffen kühl, elegant wirkende Stoffe auf grün-braunes Krokodillederlederimitat, Leopardenfell und gelben Flokatihintergrund. Glatte Flächen wie die an eine neobarocke Tapisserie erinnernde florale Ornamentik in Kupfer grenzt an plüschig-weichen, silbernen Teppichstoff durchzogen von einer deutlich sichtbaren Naht in Neonpink. Fundstücke aus dem 80er Jahre Design verwandeln sich zu Skulpturen, die an eine dreidimensionale Farbfeldmalerei erinnern. So wie die Objekte von Memphis den Rezipienten irritieren, da sie nicht dem gewohnten Schönheitsideal entsprechen, setzen auch Reyles Arbeiten auf effektvolle, sinnliche Farbgebungen mit einem reichhaltigen, spannungsvollen Oberflächenspektrum. Sie folgen anderen Kompositionsstrukturen als der stereotypen Möbelhausgarnitur des bürgerlichen Wohnglücks und sind doch in ihrem Erscheinungsbild homogen-ästhetisch. Diese von Reyle in den Ausstellungskontext transportierte Infragestellung und Neuinterpretation des klassischen Interieur-Gedankens mit seiner bürgerlichen Gemütlichkeit setzt sich in seinen Neoninstallationen und neuen Folien-Neon-Bildern fort.
Kennzeichnend für seine Arbeiten ist der Versuch, aus einer häufig gesellschaftlich konstitutierten Hermetik auszubrechen und ein Verständnis auf mehreren Ebenen zu ermöglichen. Das klassische Interieur mit Sofaecke, Tafelbild und Skulptur hat seine übliche Form und Funktion verändert, ist zum selbstständigen Kunstobjekt mutiert und regt zu einer Reflexion der eigenen Sehgewohnheiten an. (Ursula Ströbele)

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