c/o Berlin, (Foto: David von Becker)
KULTURpur - Wissen, wo was läuft!

c/o Berlin

c/o Berlin, (Foto: David von Becker)
c/o Berlin, (Foto: David von Becker)
c/o Berlin, (Foto: David von Becker)
c/o Berlin, (Foto: David von Becker)

Hardenbergstr. 22-24
10623 Berlin
Tel.: 030 28 444 160
Homepage

Talents 29. This is Willem Popelier

15.09.2012 - 27.11.2012
Sympathie oder Antipathie? Spiegel der Psyche oder reine Oberfläche? Das fotografische Einzelporträt ist mehr als nur das Abbild des menschlichen Antlitzes und seiner Gefühlsregungen. Es repräsentiert immer eine bestimmte Identität zu einem speziellen Zeitpunkt – und zeigt vor allem die Art und Weise, wie die fotografierte Person selbst gesehen werden möchte. So ist das Format des Bildes oft interessanter und aussagekräftiger als der Porträtierte selbst. Wie wird Identität fotografisch konstruiert - und zu welchem Zweck? Was sind die bewussten, was die subtilen Aussagen eines Porträts? In welchem gesellschaftlichen Kontext wird Identität publiziert und transformiert? Wann wird ein Porträt überhaupt als wichtig angesehen? In seinem Werk untersucht der niederländische Fotograf Willem Popelier den visuellen Subtext von Bildern und macht den privaten und öffentlichen Umgang mit fotografischen Porträts sichtbar. In seinen Arbeiten hinterfragt er spielerisch und feinsinnig unsere Sehgewohnheiten, lotet die Grenzen des Erfassbaren in der Identitätsfotografie aus und deckt die visuellen Mechanismen der Medien auf. C/O Berlin zeigt fünf ausgewählte Serien aus seinem Gesamtwerk.
This is me & This is me Anhand von privaten Familienaufnahmen hinterfragt Willem Popelier die Grenzen der Selbstwiedergabe - und erkennung im fotografischen Porträt und legt damit den thematischen Ausgangspunkt seiner künstlerischen Arbeiten. Für diese Serie stellte er Kinderfotos von sich und seinem Zwillingsbruder zusammen – zwei kleine Jungs, die der Künstler selbst nicht unterscheiden kann. Auch wenn ihm seine Eltern die Identitäten der Brüder genau zuordnen können, ändert sich für Willem Popelier nichts, denn er sieht immer noch zwei identische Kinder. Mit dem elterlichen Wissen kann er zwar sagen, dass einer der Jungen ihn repräsentiert. Gleichzeitig jedoch erkennt er sich auch im anderen - und identifiziert sich immer mit beiden.
Rejected Identities In 39 offiziellen Fotostudios ließ sich Willem Popelier gemäß der vom niederländischen Staat festgelegten 39 Kriterien für offizielle Passbilder ablichten. Das Ergebnis – 20 der 39 Fotografien werden von den Behörden abgelehnt. Die Pointe dieser künstlerischen Produktion liegt in der Spannung zwischen Selbstbild und Fremdbild. Willem Popelier macht sich seinem eigenen Selbstbild fremd. Auf was blicken wir jedoch dann in einem fotografischen Portrait? Das Versprechen auf den Realitätseffekt der Fotografie bleibt in der seriellen Produktion der Bilder genauso erhalten wie auch die Verfehlung der „eigentlichen“ Person im fotografischen Abbild.
Osama Papers Im Mai 2011 erschießt das amerikanische Militär Osama bin Laden. Seit einem Jahrzehnt steht sein Konterfei für den Terror von Al Qaida. Wie jedoch bebildern die internationalen Medien seinen Tod? Für diese Arbeit sammelte Willem Popelier unzählige Zeitungen und wertete deren Bildpolitik aus. Kein Leichnam wird als Beweis oder Trophäe abgelichtet, sondern allein das Portrait des lebenden Osama bin Laden. In der Zusammenstellung der Zeitungscover zeigt Willem Popelier die Wiederholung der immer gleichen, limitierten Bildmotive. In stiller Einigkeit wird der Welt vor Augen geführt, dass sie nichts zu sehen bekommt. Diese paradoxe Situation der Berichterstattung ist die Einigung auf die Abwesenheit von Bildern – Substitution statt Veröffentlichung.
Obscured Classified Document Zum Tod von Osama bin Laden wurde ein offizielles Pressefoto veröffentlicht, auf dem Barack Obama, Hillary Clinton, General Marshall B. Webb und weitere Berater bei der konzentrierten Betrachtung einer Liveübertragung zu sehen sind. Nicht das Ereignis selbst ist zu sehen, sondern die vermeintliche Reaktion der Verantwortlichen. Das Foto ist der Entzug von anderen Bildern und führt in präziser Weise die bildpolitische Kontrolle über Blickregime vor, die nicht das Zeigen von Bildern, sondern vor allem ihr Verbergen zur Praxis macht. Folglich isoliert Willem Popelier nur das verpixelte Foto, welches auf dem Laptop vor Hillary Clinton zu sehen ist. Dieses Detail wird als Ausschnitt zur abstrakten Formation. Das Muster aus gelben, braunen, weißen Rechtecken gibt keinen Hinweis auf die verschlüsselten Informationen, auch wenn sie im Gesamtbild enthalten sind. Im Herauslösen dieses blinden Flecks wird das Detail entkontextualisiert und stellt einen Kommentar zu der zuvor beschriebenen Schauanordnung dar. Es wird zum geheimen Schlüssel der Blicke.
Your Weekly Address Seit Beginn seiner Amtszeit veröffentlicht Barack Obama wöchentlich eine Ansprache im Internet. Für eine Langzeitstudie hat Willem Popelier alle Videos gesammelt und ein Filmstill aus jedem Kurzfilm herausgenommen. Die Stills sind so angepasst, dass das Gesicht Obamas in jedem die gleiche Größe behält. In einer präzisen Prozedur legt er die Filmstills in regelmäßigem Rhythmus übereinander. Einzelne Details wie die Anzugfarbe, die Platzierung der Hände oder auch der gesamte Innenraum ändern sich ständig, nur das Gesicht Barack Obamas bleibt dem Betrachter zugewandt – wie zu einer flächigen Maske erstarrt. Die perfekte, mediale Inszenierung des US-Präsidenten entlarvt sich als Monotonie der Darstellung. Obwohl Barack Obama für eine neue Authentizität in der Politik steht, kann der Betrachter nie tiefer als bis zur Oberfläche dringen.
Willem Popelier, geboren 1982, studierte Fotografie an der Königlichen Kunstakademie Den Haag und machte seinen Master an der AKV St. Joost Akademie in Breda. Seine Werke wurden in Amsterdam, Rom, Tokio und New York, ausgestellt und unter anderem in L’Officiel Hommes Korea, Foam Magazine und Mister Motley publiziert. 2010 wurde er für die besten niederländischen designten Bücher ausgewählt und hat die Bronzemedaillie der „Schönsten Bücher aus Aller Welt“ erhalten. Seine Arbeiten wurden zudem bei der Plat(t)form11 des Fotomuseum Winterthur aufgenommen. 2012 wurde Willem Popelier für den ICP Infinity Award und für den Prix Pictet nominiert.
Katja Müller-Helle, geboren 1978, studierte Kunstgeschichte in Bonn, London (UCL) und Berlin. Von 2007 bis 2010 war sie Kollegiatin am Initiativkolleg „Sinne – Technik – Inszenierung“ der Universität Wien und ist seit November 2010 Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Kunsthistorischen Institut der Freien Universität Berlin. In ihren Überlegungen zur Geschichte und Theorie der Fotografie geht es um die Zerstreuung der Fotografie in der Vielzahl ihrer Geschichten.
Nachwuchs fördern und ihm eine erste Chance für die Zukunft geben – Talents ist kreativer Campus für junge internationale Gegenwartsfotografie und Kunstkritik. Seit 2006 fördert der C/O’s e.V. mit dieser Ausstellungsreihe angehende Fotografen und Kritiker, die sich an der Schwelle zwischen Ausbildung und Beruf befinden. Begleitet wird jede Einzelausstellung von einer Publikation, in der Bild und Text einen Dialog eingehen. Talents ist ein internationaler Wettbewerb, der jährlich ausgeschrieben wird. Aus den eingereichten Bewerbungen wählt eine Fachjury jeweils vier Fotografen für einen Jahrgang aus. Mit Hilfe starker Partnerschaften schickt C/O Berlin die Fotografen und Kunsthistoriker in die Welt. Dieses in Europa einzigartige Programm ist für viele junge Künstler der Ausgangspunkt für Ausstellungen, z.B. in den Goethe-Instituten Stockholm, New York oder Santiago de Chile.

KULTURpur empfehlen