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Museum Tinguely


Paul Sacher-Anlage 2
4002 Basel
Tel.: 061 681 93 20
Homepage

Öffnungszeiten:

Di-So 11.00-18.00 Uhr

Krištof Kintera: I am not you

11.06.2014 - 28.09.2014

Das Museum Tinguely präsentiert vom 11.6. – 28.9. in seiner grossen Sommerausstellung 2014 den 1973 in Prag geborenen Künstler Krištof Kintera. Die in enger Zusammenarbeit mit dem Künstler konzipierte Ausstellung ‹Krištof Kintera. I AM NOT YOU› hat den Anspruch, sein Werk in Basel so zu präsentieren, dass sich seine Spontaneität, die Vielschichtigkeit und das Engagement des Künstlers auf den Besucher und die Besucherin übertragen.
Krištof Kintera ist im Prager Stadtbild präsent, das Memorial für Jan Pup Bouchal, einen zu Tode gekommenen Veloaktivisten, steht an einer vielbefahrenen Verkehrsachse, oder das 2011 errichtete Memento Mori On One’s Own Volition, das er unter der Nuselsky-Brücke für die Menschen schuf, die dort Ihren Freitod gewählt hatten. Beide Denkmäler sind auf Initiative des Künstlers und seiner Freunde entstanden und markieren einen speziellen Umgang mit der Idee des Denkmals, des Monuments und der Nutzung des öffentlichen Raumes. Nicht dem Staat und seinen Behörden soll die ausschliessliche Hoheit darüber zugestanden werden, sondern auch der Einzelne und Gruppen sollen sich manifestieren und sowohl ästhetische als auch politische Wirkung entfalten können.
Krištof Kintera tritt 1992 in die Akademie der Künste in Prag ein. 1992 markiert das Jahr, in dem sich – drei Jahre nach dem Fall des Kommunismus – der bis dahin als Tschechoslowakei bezeichnete Bundesstaat in die selbständigen Staaten Tschechien und Slowakei aufteilt. 1999 schliesst Kintera seine Ausbildung, nach Studienaufenthalten in den USA und Grossbritannien, an der Prager Akademie ab und setzt sich drei Jahre intensiv mit theatralen und performativen Formaten auseinander. Seit 1993 ist er Mitglied der Theatergruppe mit Jednotka / Unit, mit der er verschiedene Performances durchführt: auf der Bühne (2001 entwirft er die Ausstattung für die nonverbale Performance Passanger), auf der Strasse (2002 gehen Schauspieler als Talkmen, gesammelte Gedanken absondernde Sprechroboter, durch die Stadt). In derselben Zeit ist er von 1999 – 2001 Mitgründer und künstlerischer Leiter des alternativen, multikulturellen Zentrums UNIVERSAL NOD. Ein Studienaufenthalt 2003 – 2004 an der Rijksakademie van Beeldende Kunsten in Amsterdam markiert das Ende seiner performativen Arbeit. Der öffentliche Raum und die gesellschaftliche Relevanz seiner Werke bleiben zentral. Gleichgültigkeit ist keine Option für Kintera. Das skulpturale und zeichnerische Werk Kinteras entwickelt sich während seiner Zeit an der Akademie.
IT (1996) ist eine Skulptur auf Rollen, Ei- oder Computermaus- förmig, Dackelgross, die an einer Schnur durch einen Ausstellungsraum oder durch die Stadt zu ziehen ist. Es ist ein interaktionsfähiges Werk, das der Person, die es zieht, mit Sicherheit auch zu weiteren Interaktionen / Begegnungen mit Passanten verhilft. Ein ‹Conversation piece› einer neuen Art, das den öffentlichen Raum für sich in der gleichen Art beansprucht, wie dies ein Dackel oder ein, an einer Schnur gezogenes, Kinderspielzeug täte. Bloss, dass es sich bei IT um Kunst handelt…
Ein ähnliches Spiel mit der Frage nach Kunst treibt Kintera 1997 mit Appliances, verschieden geformte Elektrogeräte ohne Funktion, aber mit Anschlusskabel, Verkaufsbox, Bedienungsanleitung und ergonomischer Handhabung. Im Regal eines Elektrofachhändlers platziert, fallen die Geräte weder auf noch ab, sondern reihen sich diskret unter Haartrockner, Bügeleisen und Stabmixer ein. Kinteras Annährung an die Warenwelt ist voller Ironie und Schalk.
Revolution entsteht 2005 nach Kinteras Aufenthalt in Amsterdam. Waren die Talkmen, die von 1999 bis 2003 als Skulpturen entstanden, noch unbeweglich vor sich her plappernde, kleine, kaum einen Meter hohe Menschengestalten, so schlägt die genau gleich geformte Figur Revolution ihren Kopf mit Vehemenz und Kraft an die Wand. Diese Revolution frisst nicht ihre Kinder, sondern zerstört sich gleich selbst – und die Welt, in der sie steht.
Neben seinen Skulpturen zeichnet Krištof Kintera, schafft Gemälde, Porträts, fotografiert, filmt und sprayt. Bei diesen Arbeiten auf Papier – Entwürfe, Textnotate, Gedankenstützen, Sprüche – mischen sich mit Notizen und Kommentaren ergänzte Zeitschriftenseiten mit feinen Zeichnungen von Skulpturen und Schablonengesprayten oder gestempelten Sprüchen wie ‹Don’t think about money›, ‹You are not me› oder ‹I don’t want to have problems›. Das sind lapidar geäusserte und recht grosse Ratlosigkeit hinterlassende, aber in keiner Weise banale Sätze, die, aus dem Zusammenhang gerissen, ganz neue Bedeutungsebenen erschliessen können. Aus einer Sammlung solcher Blätter hat Kintera den Katalog zur Ausstellung gestaltet, der als Künstlerbuch höchst aufwändig produziert wurde.
My Light is Your Life (model: Shiva Samurai 15kw / 50Hz) ist eine Skulptur, die Kintera bereits 2009 erstmals konzipierte und für die Ausstellung im Museum Tinguely neu geschaffen hat. Eine mit Licht atmende Figur aus Glühbirnen und Spots, die nebst Helligkeit auch Wärme und Hitze produziert und die sich mit dem Gebäude, in dem sie steht, in Koexistenz zu finden scheint. Wenn sie leuchtet, wird sie Teil des Raums – und gleichzeitig entzieht sie ihm so viel Energie, dass die Skulptur alles andere überstrahlt. Shiva Samurai erscheint dem Betrachter fast wie ein kontemplatives Werk …
Ähnlich wie die markanten Kurzsätze funktioniert Lay down and shine (2009), eine Strassenlampe, die im Park des Museums abgeschnitten auf dem Rasen liegt und leuchtet. Das Paradox, dass die zerstörte Lampe weiter brennt, ist das eine – das andere die Tatsache, dass der offenkundige Zerstörungsprozess in diesem Fall eine ästhetische Gewinnoption in sich trägt. So kann ein Kandelaber plötzlich vom Stadtmöbel zur Skulptur und zur beachteten, formalen Instanz werden.
Die Installation Bad News (2011) geht dagegen alles, ob Problem oder gleich die ganze ‹Welt›, frontal an. Über eine grosse Trommel gebeugt, sitzt verkrampft eine gehörnte und mit einem langen, sich gelegentlich kringelnden und schlagenden Schwanz versehene Figur in einem schwarzen Pelzmantel und hört die Nachrichten und die Musik aus einem grossen Radiogerät. Es ist nichts Beschwichtigendes, Ruhiges in der ganzen Anordnung, im Gegenteil scheint sich das ganze Elend der Welt um diese Figur zu bündeln, die mit dem Fuss die Trommel und mit einem Stab die leeren Biergläser schlägt.

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